Der Buchautor, Philosoph und selbsternannte Managementguru Reinhard Sprenger hat kürzlich in einer WiWo-Kolumne ein Twitter-Statement von Siemens-Chef Jo Kaeser zur Flüchtlingspolitik massiv kritisiert („Er darf das nicht“). Er wirft ihm „Loyalitätsbruch an unserer freien wirtschaftlichen Verfasstheit“ vor und spricht Managern die Legitimation ab, nach moralischen Überzeugungen zu handeln, da es dann zum „Triumph der guten Gesinnung über die Gesetze des Verstandes“ komme. Manager haben als Angestellte seiner Auffassung nach nur eine, und zwar eine einzige Rolle zu spielen: die Interessen der Kapitalgeber zu vertreten. Nach Sprenger gibt es in der Ökonomie nur eine zentrale Instanz, deren Interessen maßgeblich sind: „Den Kunden, der in freier Entscheidung und unter Einhaltung der Gesetze für unsere Produkte und Dienstleistungen zahlt oder nicht zahlt – alles andere muss man den Kirchen überlassen“.

Beim Lesen des Artikels wird nicht deutlich, ob die Überspitztheit der Positionen journalistische Aufmerksamkeitsheischerei ist, ernsthafte Standpunkte widerspiegelt oder schlichtweg Befindlichkeiten ausdrückt. In den Ausführungen von Herrn Sprenger kommen jedoch vor allem zwei Aspekte seiner Glaubenswelt zum Vorschein: 1) die Rolle des Managers und 2) die Rolle der Ökonomie.

Sprenger hatte seine großen Bucherfolge in den 90er Jahren und es scheint so, als ob er in seinem Denken dem Credo der damals vorherrschenden „Shareholder-Value“-Lehre verhaftet geblieben ist. Demnach ist die einzige Aufgabe von Unternehmen, das Kapital der Anteilseigner bestmöglich zu mehren (Verzinsung des eingesetzten Kapitals). Die Rollen der Manager und aller Führungskräfte haben sich diesem Ziel unterzuordnen. Moralisches Handeln der Manager ist in diesem Konzept nicht vorgesehen, ja sogar unerwünscht, da es zu Zielkonflikten mit den Renditezielen der Anteilseigner führen kann. Diese Auffassung ist nicht nur mittlerweile überholt, sondern hat in der Vergangenheit zu massiven Verfehlungen von Managern geführt.

Sowohl in der betriebswirtschaftlichen Forschung als auch in der Unternehmenspraxis ist deutlich geworden, dass ein Unternehmen neben den Anteilseignern auch viele andere Stakeholder bedienen muss, um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Und natürlich ist auch ein Manager ein Mensch mit moralischen und ethischen Überzeugungen, auch wenn er als Unternehmensvertreter oder als Privatmann in je verschiedenen Rollen agiert. Die von Sprenger propagierte zwanghafte Trennung der Rollen wird weder gesellschaftlicher noch sozialer oder verhaltenspsychologischer Realität gerecht.

Der Manager sowie der Kunde als „Homo oeconomicus“ ist ein widerlegtes Konzept. Wer das nicht wahrhaben möchte, sollte Daniel Kahnemann lesen. Und Manager dürfen nicht nur, sondern sollten auch gerade Position zu gesellschaftlichen Fragen beziehen. Nicht nur weil Bürger und Kunden sich das wünschen (CEOs sollen Flagge zeigen), sondern weil es gerade Aufgabe eines Unternehmensführers ist, im Sinne aller Stakeholder Dialoge und Diskurse mit gesellschaftlichen Gruppen zu führen, natürlich immer auch unter Berücksichtigung der Interessen der Anteilseigner.

Auch Sprengers Verständnis von Ökonomie entspricht eher Konzepten des 19./ 20. Jahrhunderts und einem verbreiteten Missverständnis der Thesen von Adam Smith. Danach wäre Wirtschaft moralfrei, funktioniere quasi formal nach „naturgesetzlichen“ Abläufen und könne dementsprechend analysiert und mathematisch beschrieben werden. Auch dieser Ansatz hatte seinen Höhepunkt in den 90er Jahren nach dem vermeintlichen „Sieg“ der freiheitlichen über die sozialistische Wirtschaftsordnung. In der aktuellen Forschung wird jedoch mittlerweile Wirtschaft nicht mehr als moralisch wertfreies, vernunftbasiertes und berechenbares Konstrukt gesehen, sondern als ein deutlich komplexerer Prozess einer politisch-sozialen Ökonomie, der in gesellschaftliche Strukturen und die dort vorherrschenden Werte und Normen eingebunden ist. Der Ökonom Tomas Sedlacek zeigt, dass Ökonomie seit ihrer Entstehung vor tausenden Jahren bis heute immer ein Produkt aus Kultur, Religion und Mythen und somit normativ war (Ökonomie von Gut und Böse).

Sprenger selbst begeht einen Kategorienfehler, da er seine Sicht der Rolle der Ökonomie nicht als „quasi-religiöses Glaubensbekenntnis“ erkennt. Sprengers Wirtschaftsverständnis basiert auf dem Weltbild Newton’scher Physik und dem Mythos der „unsichtbaren Hand“. Der Markt regelt sich danach selbst und ohne Moral – dennoch aber immer zum Vorteil aller Marktteilnehmer. Nach Sprenger bringe Moral diese Gesetzmäßigkeit ins Wanken, da sie sich über den Verstand erhebe. Dieser Glaube, dass Wirtschaft, Tausch und Handel neutral und losgelöst von Kultur und Gesellschaft seien, ist jedoch naiv. Die wirtschaftsliberale These von Milton Friedmann, dass Unternehmen dann Gutes tun, wenn sie sich an die Gesetze halten und möglichst viel Gewinn machen, hat sich als Irrweg erwiesen und führt im globalen Kontext zu mehr Problemen als Lösungen – unter anderem aus dem Grund, dass Gesetze an nationale Grenzen gebunden sind und immer Lücken haben.

Nach Peter F. Drucker, dem großen Managementvordenker, findet Wirtschaft in der Gesellschaft statt, Management ist in seiner Auffassung eine gesellschaftliche Funktion. Manager haben seiner Ansicht nach die Verantwortung, die Pflicht und die Aufgabe, Gesellschaft aktiv zum Positiven mitzugestalten. Unternehmen haben eben nicht nur den Zweck, Profit zu machen: „Enterprises cannot be justified as being good for business. They can be justified only as being good for society” (Peter F. Drucker, Management: Tasks, Responsibilities, Practices, New York 1985).

Sprengers Sicht auf die Rolle eines Managers und auf die Ökonomie ist anachronistisch und gefährlich, weil sie öffentlichen Dialog und Diskurs verurteilt, an dem auch Unternehmensführer teilnehmen. Gesellschaftliche Entwicklung und erst recht die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme erfolgen nicht, wie von Sprenger gefordert, durch eine Politikerkaste, sondern durch einen breiten öffentlichen Diskurs, der schließlich in politischen Entscheidungsprozessen mündet. Dazu braucht es vor allem eine Dialogkultur, an der alle relevanten Akteure teilhaben. Unternehmensführer, sei es von Aktiengesellschaften oder familiengeführten Unternehmen, sind zweifellos wichtige Protagonisten und Vertreter von Organisationen, die unsere Gesellschaft maßgeblich prägen.

Wenn sich Herr Kaeser zu Geflüchteten, Äußerungen von AfD-Abgeordneten und zum bedingungslosen Grundeinkommen äußert, ist das nicht verwerflich, sondern wichtig und hilfreich. Man muss seine Positionen nicht teilen, aber sie lassen sich diskutieren und sind Teil eines breiten Dialogprozesses, der zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen zwingend notwendig ist. Wenn Herr Kaeser dies auch über soziale Netzwerke tut, ist es zugleich Teil einer digitalen Debatte und ist damit der Medienkompetenz förderlich und Ausdruck digitaler demokratischer Teilhabe.

Die Abspaltung von Moral und moralischem Handeln vom Alltag und von großen Teilen unserer Lebenswelt, die Herr Sprenger fordert, wenn er sie auf die Kirche beschränkt wissen will, zeugt von einem überkommenen Weltbild. Wenn wir von unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung aus agieren, kann normative Lösungs- und Entscheidungsfindung nur auf Basis eines kollektiven Findungsprozesses stattfinden, an dem Vertreter aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, auch und gerade Unternehmensführer, teilhaben sollten. Dieser Findungsprozess entfaltet sich in der Politik, aber auch in der Öffentlichkeit, in Kirchen, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Initiativen, entwickelt Normen und damit moralische Maßstäbe dafür, was „gut“ und was „schlecht“ ist, und findet dann seinen Weg in politische Entscheidungen. Das wirkt manchmal mühsam und langwierig, ist nach allen Erfahrungen jedoch auch langfristig wirksamer und nachhaltiger. Wir brauchen viel mehr Manager, die sich aktiv in gesellschaftspolitische und normative Diskussionen einbringen.

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